Sinah geht in Babypause. Über gemischte Gefühle und den ehrlichen Umgang mit sich selbst.

 
 

Zum Zeitpunkt dieses Textes bin ich in der 27. Woche schwanger, das ist der 7. Monat. Ich bin erschöpft und habe vor ein paar Tagen, mich selbst in ein “Beschäftigungsverbot” bzw. in eine vorgezogene Babypause geschickt. Eine Entscheidung, die mir schwer fiel, die aber nicht verhandelbar ist - und das sage ich vor allem mir selbst.

Ich erzähle dir in diesem Text von meiner Schwangerschaft, wie ich sie empfinde, ich schreibe hier sehr persönlich über meine Ängste und den Prozess, den es in mir ausgelöst hat - als Frau und Unternehmerin. Ich schreibe das alles auf, weil ich hoffe, diese Zeilen inspirieren dich zu mehr Ehrlichkeit im Umgang mit dir selbst und zu Zuversicht in Zeiten von Veränderung. Und auch, weil so viel Resonanz auf das Babythema besteht. Es macht uns Frauen stark, darüber zu sprechen und Erfahrungen zu teilen.

Was war noch mal der Plan?

Eigentlich hatte ich vor, bis Jahresende 2021 zu arbeiten, Geburtstermin ist im Februar. Ich sah mich selbst als fitte und strahlende Schwangere, die mit Leichtigkeit ihrer Berufung nachgeht und selbstverständlich parallel gut für sich selbst sorgt. Und glücklich ist. Denn was sonst außer glücklich ist Frau mit der positiven Nachricht? Viele können keine Kinder kriegen oder verlieren ihre Kinder, da gehört sich doch das Glück, wenn man so von der Natur beschenkt wird.

Ich sah mich also selbst mit einem helfenden Wesen im Bauch, Raum halten und Yoga unterrichten. Langsame und noch intuitivere Thai Yoga Sessions geben. Meditationen und Entspannungen anleiten, die einen besonderen “Spirit” haben. Und klar, ich weiß dabei meine Bedürfnisse stets zu achten. meine Grenzen zu respektieren, meinen Körper zu ehren - das ist ja quasi mein Job. Gleichzeitig organisiere ich die YOGAREI ein bisschen um, hatte ja ohnehin schon einige Veränderungen vor, ein bisschen Umstrukturieren ganz nebenbei und dann ist die ganze Unternehmung schnell familientauglich gemacht.

Meine Schwangerschaft kam schnell. Eine Seele hatte es offenbar eilig, sehr eilig.

Ich fand es immer schön, mal Kinder zu haben, aber es hatte nicht zu meinem Lebensziel gehört. Vielleicht mal später, obwohl ich nun auch schon ein paar Jahre über 30 bin, das Gefühl der Jugend - für alles ewig Zeit zu haben - ist bei mir so präsent wie mit 16.

Leute, die mich gut kennen, sagen manchmal ich sei naiv. Das habe ich immer als Stärke wahrgenommen. Es lebt sich leichter, wenn man nicht immer alle Konsequenzen mit dem ängstlichen Verstand zer-denkt.

Ich wusste sofort, dass es passiert war, noch vor irgendeinem Test. Das Magische ist, wenn ich jetzt daran zurückdenke: Wenn ich still war, wirklich ganz still, in meiner Meditation saß und nach Innen lauschte, da erinnere ich mich an eine innere Stimme, die die Seele willkommen hieß. Da war es einfach und klar. Deutlich und bedingungslos. Das war ein Gefühl von Liebe und tiefer Verbindung, von Freude.

Dann kam der Test. Der Test, der aus einem stillen Geheimnis eine Tatsache machte. Sie konfrontierte mich mit allem was eben dazu gehört und mein so wundervoll bequemes Leben wurde in Frage gestellt, und zwar inklusive dem kostbaren subjektiven Gefühl von Sicherheit und Freiheit. Ich liebe mein Leben. Ich hatte nicht vor, daran etwas zu ändern.

Die Reaktionen meines Umfeldes überforderten mich. Meistens schiere Freude und Jubeltänze, aber ich konnte damit nichts anfangen - hat das was mit mir zu tun? Da ist ein Baby in meinem Bauch? Erstmal ist es so surreal, so fremd.

Schnell kamen Sätze wie “Jetzt wird alles anders. Ein Kind verändert alles. Nichts wird sein wie vorher.” Das machte mir Angst. “Aber es wird natürlich auch viel schöner.” Das tröstete mich nicht. “Kinderkriegen und Soloselbstständigkeit - hast du dir das wirklich gut überlegt? Habt ihr überhaupt genügend finanzielle Ressourcen? Ihr verdient doch viel zu wenig, habt keine Sicherheiten, keine großen Rücklagen.”

Ziemlich schnell fing ich an zu brechen. So richtig, Morgenübelkeit ist ein Euphemismus in meinem Fall. Ich behielt nichts, zeitweise nicht mal Wasser. Ich konnte nur auf dem Rücken liegen, sobald ich mich auf die Seite drehte, kam der Brechreiz. Ich zog zwei Monate zu meiner Mama, um mich bemuttern zu lassen. Ich vegetierte vor mich hin. Ich wog nur 47 kg. Ich fühlte mich schwach und hilflos wie noch nie in meinem Leben.

Warum war die Übelkeit so krass? Wer weiß das schon? Ursachen Suche ist nicht immer zielführend. Sie kann lähmend und zehrend sein. Wir verlieren unsere Energie in einem Strudel des Warum, der mit der Lösung nichts zu tun hat. Das verhindert oft Akzeptanz.

Akzeptanz heißt, etwas auszuhalten zu können. Solange wir emotional im Widerstand sind, dagegen ankämpfen à la “Ich will mich aber anders fühlen”, ist das keine Akzeptanz. Resignieren ist auch etwas anderes. Akzeptanz bleibt im Jetzt. Resignieren ist eine Wette auf die Zukunft.

 
 

Hilfe annehmen ist Heilung.

So lange bei meinen Eltern zu bleiben und mich darin zu üben, Hilfe anzunehmen, hat gut getan. Und ich bin zutiefst dankbar für diese wundervollen Menschen, die ich Familie nennen darf. Das Erbrechen hörte zwar nicht auf, aber ich fühlte mich gut aufgehoben. Ich konnte mir erlauben, schwach zu sein. Und ich habe gelernt, dass Hilfe keine Gegenleistung braucht.

Das Leben funktioniert in einer Balance aus Geben und Nehmen. Dahinter stecken Konzepte, die meistens an eine Zeitvorstellung geknüpft sind - kurzfristig und konkret. Wir meinen einen Ausgleich schaffen zu müssen und das führt unter Umständen zu neuem Druck.

Was, wenn wir diese Konzepte aufbrechen? Wie wäre es, wenn wir Hilfe annehmen könnten, ohne etwas zu schulden? Das ist außerhalb unserer “Matrix”, also unseres normalen Denkens und daher manchmal schwer. Aber nur dann hat Hilfe eine heilsame und befreiende Qualität.

Was ich gelernt habe in diesen ersten Monaten: Ich bin es wert, Hilfe zu empfangen. Ich muss nichts dafür leisten. Ich werde auch noch gemocht und geliebt, wenn ich ausfalle und nicht funktioniere. Mein Körper-Geist-Seele-System hatte für alles Weitere erst diese Lernerfahrung gebraucht, eine Selbstwert Steigerung.

Und die weisen Mütter in meinem Umfeld, lächelten mir liebevoll zu, dass genau das die beste Vorbereitung für die Mutterschaft ist. Hilfe annehmen.

In dieser Anfangszeit (bis etwa 16.Woche) habe ich das erste Mal alles Berufliche absagen müssen. Insgesamt 10 Wochen habe ich nicht gearbeitet. Das heißt finanzielle Einbußen und weniger Geld. Wenn man nur was auf dem Konto hat, wenn man auch arbeitet, ohne Anspruch auf Krankengeld oder Sonstiges, kann das beängstigend sein. War es auch plötzlich, zum ersten Mal. Und es war ein guter Vorgeschmack auf das, was einige Wochen drauf passieren sollte.

Es geht nicht um mich.

Während ich so da lag, musste ich über eine Sache besonders viel nachdenken: Die Anhaftung unseres Selbst an diverse Rollen und mühevoll aufgebaute Identitäten. Da basteln wir so akribisch und liebevoll an unseren “Ichs”, an den besten Varianten unseres Selbst und werden zu “Jemanden” - um dann zu erkennen, dass es am Ende nur darum geht, alles wieder zu vernichten und loszulassen.

Das ist pure Yoga Philosophie. Im Yoga Sutra, einem der bedeutsamsten Quelltexte des modernen Yoga, schreibt Patanjali, der Verfasser, über die Ursachen von Leid, die “Kleshas”. Eine davon ist “Asmita”, die Anhaftung an das Ego, die Identifikation mit dem Ich, mit dem “ich brauche das, ich will das, ich bin das …”

Es begann in mir zu dämmern, dass es gerade nicht um meine Wünsche und meine beruflichen Ziele ging, nicht um mich. Durch meinen Körper entsteht gerade neues Leben. Dieser Gedanke lässt mich jedes Mal innehalten, er lässt mich tiefe Demut empfinden. Was für eine absurde Idee ist es eigentlich, dass wir Frauen währenddessen ganz normal dem alltäglichen Wahnsinn nachgehen sollen/wollen/müssen?

Meine Aufgabe ist es, für das neue Leben Raum zu halten und es zuzulassen. Zu empfangen - im wahren Wortsinne. Und dass das meinen Körper sehr viel Kraft kostet und er offenbar sehr empfindlich darauf reagiert, ist in Ordnung. Erinnerung: Was bringt das Warum?

Ich habe mir die Erlaubnis gegeben. Das war Surrender - Teil 1. Im Nachhinein empfinde ich das Erbrechen wie eine Form von “Saucha” - Reinigung. Auch hier zeigt das Yoga Sutra ein interessantes Konzept, das passt. “Saucha” ist eine Art Regel oder Empfehlung im Umgang mit sich selbst, dabei geht es um geistige und körperliche Reinheit. War wohl ganz schön viel drin - an leidvoller Anhaftung. Und das sage ich mit einem Zwinkern und gutem Schuss Selbstironie.

Schlaf als spirituelle Praxis.

Zeitweise war ich sehr frustriert, dass keines meiner geliebten Tools half, keine Meditation, keine Atemübung, nichts. An manchen Tagen brachte mich nichts aus meinem “Mindfuck” raus, der bekanntlich das emotionale Empfinden nicht unbedingt positiv beeinflusst.

Viele meiner geliebten Freunde stellen mir sehr kluge Fragen, gaben mir Anregungen zur Reflexion. Aber weißt du was? Es interessierte mich nicht die Bohne. Ich hatte kein Kraft für die Innenschau. Für schlaue Perspektivenwechsel. Für irgendwelche “Shifts in Energy”. Ich wusste, das kommt später. Im Moment wollte ich einfach nur schlafen. Das half am besten.

Im Schlaf geschieht Heilung, sagt man. Vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen konzentrierte ich mich auf meinen Atem. Keine fancy Atemübung, nur eine einfache Atemwahrnehmung. Da ist Leben, das durch mich fließt. Ich entspanne mich in die Ausatmung hinein.

Ich habe viel geschlafen.

 
 

Es folgten etwa 8 Wochen, in denen ich mich besser fühlte. Der Bauch begann zart zu wachsen, was mir sehr gefiel. Der Bauch war so etwas wie ein Beweis, dass es real ist. Wenn man einem nichts ansieht, ist Vieles schwerer. An dieser Stelle möchte ich einmal an alle die Menschen erinnern, die psychisch krank sind. Die kein gegipsten Bein haben, das Mitleid erweckt oder erklärt. Wenn die Krankheit unsichtbar ist, erwartet jeder, dass du funktionierst. Nun ist der Vergleich mit einer Schwangerschaft natürlich suptoptimal.

Dennoch: Woher wissen wir, wie es unserem Gegenüber wirklich geht? Ich versuche achtsamer zu sein mit meinen Mitmenschen. Es ist grenzüberschreitend, ja gewaltvoll, einfach Dinge anzunehmen, von sich selbst auszugehen oder ein Verhalten zu erwarten.

Die Kraft kehrte also zurück, ich hatte riesige Lust auf Verbindung, auf Menschen, auf mein Leben. Also habe ich gemacht, wonach mir war. Und das war richtig. Es gab nur ein Problem. Ich war nicht ehrlich mit meinen Grenzen.

Natürlich hatte ich mir vorgenommen, das Pensum beruflich zurückzuschrauben. Hatte ich auch. Es hielt ganze 3 Wochen. Mehrere Male überging ich mein Bauchgefühl mit Aktivitäten beruflich und privat. Aber ich wollte ja diese fitte, strahlende Schwangere sein. Und wie schnell ist das Leid vergessen, wenn man den süßen Nektar des Lebens erstmal wieder gekostet hat. Hinzu kam ein leises Verdrängen vor der Angst der Verantwortung. Wie soll ich für ein anderes Wesen sorgen, wo ich doch gerade mal das Gefühl habe, für mich selbst sorgen zu können?

Ich gebe zu, dass finanzielle Ansprüche, noch alles mitzuholen oder das Beste rauszuholen, ihre eigene Dynamik entwickelten hatten. Spätestens als ich begann mich mit Themen wie Mutterschutz und Elterngeld zu beschäftigen, dämmerte es mir, dass ich auf mich alleine gestellt bin. Dass ich keine Zahlungen erhalten würde, dass mich niemand in Schutzzeit schickt. Das gehört nun mal zur Selbstständigkeit dazu, man muss sich selbst kümmern. Eigenverantwortung at its best.

Die Übelkeit und das Erbrechen kamen immer öfter zurück. Aufstehen vor 1o Uhr? Keine Chance! Diese Stunden am Tag waren vor der Schwangerschaft meine produktivsten - Büroarbeit, Organisation, Planung, Buchhaltung, Werbung, usw. Wenn das über 3 Monate liegen bliebt, ist es logisch, dass es einen einholt. Und dann war ja auch noch die Umstrukturierung mit dem mama-tauglichen Business. Und die Selbstfürsorge …

Es kamen noch andere kleinere bis mittlere körperliche Wehwehchen, die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen möchte. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Es wurde enger in mir. Ich saß einfach da und guckte ins Leere. Es tat sich langsam ein Gefühl auf, das Trauer gleicht, sogar ein bisschen wie Scheitern. Das Gegenteil von Freude.

Ich fühlte mich wie auf einem Bahngleis. Der alte Zug ist abgefahren und ich winke traurig hinterher. Der neue Zug fährt noch nicht ein. Ich warte, kommt er? Wo fährt er überhaupt hin?

Es war mein Freund, der mich liebevoll rüttelte und als Erstes aussprach, dass ich jetzt zum Arbeiten aufhören solle. Ich liebe ihn dafür. Es hat dann noch eine Woche gebaucht, bis ich diesen Gedanken zulassen konnte. Jetzt bin ich sehr dankbar, diese Entscheidung getroffen zu haben und meine Babypause vorzuziehen, mich selbst und meine Bedürfnisse wirklich zu ehren. Radikal ehrlich.

Wenn Veränderungen anstehen gibt es diese Zwischenräume, Übergangsphasen, sie sind ganz natürlich, wir sind nur nicht so geübt, die damit verbündende Unsicherheit abzuhalten. Das Neue ist nun mal neu und unbekannt.

Es ist in Ordnung, in neue Aufgaben und Lebensphasen ersteinmal hineinzuwachsen. Es ist in Ordnung, dabei gemischte Gefühle zu empfinden und nicht nur ständig Freude. So ist das Leben nicht. Und mit dir und deiner Praxis stimmt alles! Solche Emotionen sind am Ende wichtig, weil sie uns Wegweiser sind (siehe oben). Immer wieder muss ich an den Satz denken: Hindernisse, seid ihr gesegnet, an euch wachsen wir.

Das größte Hindernis sind wir uns oft selbst. Auf dem Weg des Erkennens räumen wir eines nach dem anderen aus dem Weg. Und manchmal wissen wir noch gar nicht, wie gesegnet wir wirklich sind.

Mit der Entscheidung der früheren Babypause hat etwas in mir aufgeatmet. Ich erinnere mich,

… dass es um einen tiefen Transformationsprozess geht, der Raum braucht - wie alle Veränderungen im Leben

… dass Sicherheit nicht im Außen zu finden ist

… dass ein Baby das Recht darauf hat, auf seinem Weg in diese Welt an erste Stelle gestellt zu werden

… dass wir selbst das Recht darauf haben, uns selbst an erste Stelle zu stellen

… dass echte Freude eine Qualität ist, die durch Anbindung entsteht und durch Angst verhindert wird

… dass echte Selbstfürsorge kein oberflächliches Staubwischen ist und manchmal mit schweren Entscheidungen verbunden ist und weh tut

 
 

Lass mich gerne wissen, wie es dir mit deiner Selbstfürsorge geht und was du vielleicht aus diesem Text für dich rausziehen konntest. Danke fürs Lesen und unseren Gemeinsem Weg. Alles Liebe und bis ganz bald.

Sinah Müller