Wahrhaftigkeit, wer bin ich?

Wahrhaftigkeit ist ein großes Wort. Man kann nicht in Bücher nachlesen, was es ist - man muss es selbst rausfinden. Im Kopf plappert es laut und auf der Straße wird schnell geredet. Und was sage ich?

Eins ist klar: Ich bin kein "Vollzeit-Yogi", ich bin nicht erleuchtet, manchmal übe ich meine Yogapraxis lustlos. Manchmal übe ich gar nicht und mache schrecklich unyogische Sachen: Wein trinken, Zucker essen, Zigaretten rauchen, bis in den Morgen tanzen, bis in den Nachmittag schlafen, schlecht gelaunt sein. 

Yoga lehrt, sich nicht mit seinen Gedanken und Gefühlen zu identifizieren. Mein Ego meint, ich wäre ein besserer Yogalehrer, wenn ich die angeblich unyogischen Sachen nicht machen würde. Und lässt mich bittere Selbstzweifel schmecken.

Doch das ist Quatsch. Es wäre zum Beispiel ein Hindernis (klesha), wenn meine Identität von meiner Tätigkeit als Yogalehrer abhinge. Das wäre ein falsches Verständnis meiner Person (asmita). Es wäre auch ein falsches Verständnis, wenn ich mich deswegen klein mache. Und dann kommt die gute alte Angst ins Spiel. Angst vor Ablehnung. Wie sehen das die anderen? Auch das ist ein Hindernis, die Yogis nennen es abinivesha. Es ist sehr mächtig und bestimmt ganz schnell unsere Realität.

Das Mensch-Sein ist nun mal voller Widersprüche und das ist in Ordnung. Wie Welt ist voller Widersprüche. So viel Verzückung. So viel Leid. Wir werten in gut und böse, in schön und hässlich, in richtig und falsch, in männlich und weiblich.

Es ist eine Lebenskunst, einen klaren Geist und ein offenes Herzen zu haben. Mal entsteht Leichtigkeit, mal Last, mal fühle ich Mangel, mal Fülle. Jeder Tag ist anders. Dazwischen bin ich und suche nach Wahrhaftigkeit. Nach mir. Anstrengend? Anstrengend! Zum Glück kann ich ja bald wieder unyogische Sachen machen. No dogma, please.

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Sinah Müller